Bei dem Engagement für Kinder, die Opfer einer Straftat, z.B. Gewalt und Misshandlung, wurden, hat sich gezeigt, dass die Praxis, Kinder der Hexerei zu beschuldigen und daraufhin aus der Gemeinschaft auszuschließen oder - im Zuge der Hexenaustreibung - schwer zu misshandeln, ein verbreitetes und in der Gesellschaft verwurzeltes Phänomen ist. Viele unschuldige Kinder, vor allem in ländlichen Regionen sind dabei grausamen Ritualen ausgesetzt. Aus Angst vor übernatürlichen Kräften oder gesellschaftlicher Missgunst wagen es wenige lokale Akteure, dagegen vorzugehen und sich für diese Kinder einzusetzen.
Unerschrocken jedoch und mit unerbitterlichem Engagement sucht unsere Partnerorganisation CREUSET das Problem an den Ursachen zu bekämpfen, betroffene Kinder zu rehabilitieren und wiedereinzugliedern.
France 24 berichtete am 11. Mai 2017 über die Situation von Kindern in Togo, denen Hexerei vorgeworfen wird und über das Engagement unseres Partners CREUSET zum Schutz der Kinder. Da das Thema heikel ist, begibt sich CREUSET dabei auch selbst in Gefahr.
Der Bericht ist auf Englisch und auf Französisch zu sehen.
Achtung, die Bilder und Aussagen darin können schockieren!
Es gibt zahlreiche Gründe, warum Kinder der Hexerei
bezichtigt werden:
Herausragende Eigenschaften, die sich deutlich vom "Normalen" unterscheiden, werden wenig toleriert und nicht selten bekämpft. Im Extremfall werden Kinder mit besonderen
Eigenschaften aus der Gemeinschaft ausgestoßen und sogar zu Tode gebracht. Die Dunkelziffer der Opfer ist hoch, da der Staat mit seinen Institutionen (Polizei, Justiz) diese Praktiken im Allgemeinen
toleriert und selbst bei eklatanten Kinderrechtsverletzungen nicht konsequent eingreift. Die Praktiken zur Hexenaustreibung werden im öffentlichen Diskurs weitgehend tabuisiert, angefangen von eher
harmlosen Ritualen bis hin zu sozialer Ausgrenzung, wirtschaftlicher Ausbeutung, Gewaltexzessen und brutaler Folter.
In der Zivilgesellschaft gibt es bei humanitären Organisationen, selbst im Bereich des Kindesschutzes, wenig Interesse, sich hier zu engagieren. Ein Grund ist der
Tabucharakter des Phänomens, ein weiterer dessen tiefe gesellschaftliche Verankerung, die damit verbundene Komplexität oder die gefühlte Aussichtslosigkeit, einen Bewusstseinswandel oder gar eine
Einstellung schädlicher Praktiken für die Opfer zu erreichen. Hinzu kommt, dass noch immer viele Menschen von der Existenz des Phänomens der Hexerei überzeugt sind.
Viele Kinder, die der Hexerei bezichtigt werden, landen auf Polizeistationen. Das erfordert schnelles Handeln unseres Partners CREUSET, um diese Kinder wirksam zu schützen, psychologisch zu begleiten und Rechtsbeistand zu leisten.
Gemeinsam mit unserem Partner CREUSET-Togo möchten wir das Phänomen, Kinder der Hexerei zu bezichtigen, in die Öffentlichkeit tragen. Die Organisation prangert Exzesse an Kindern entgegen der öffentlichen Meinung an und möchte auch für als Hexen verfemte Kinder ein Kinderrechte schützendes Umfeld aufbauen sowie deren Recht auf Leben sichern, ihnen Schutz bieten, ihre körperliche Unversehrtheit verteidigen und die gesellschaftliche Eingliederung dieser Kinder fördern. Politik, Justiz, Medien, Polizei sowie das Sozialwesen und die Zivilgesellschaft samt ihren traditionellen und religiösen Autoritäten werden in diesen Kampf eingebunden.
Die Kampagne im Projekt Kinder in Gefängnissen und Opfer von Straftaten
entwickelt. Unser folgendes Projekt mit
CREUSET in Togo legte einen Schwerpunkt auf verschiedene Präventionsmaßnahmen (z. B. Aufklärung, Konferenzen und Schulung wichtiger Akteure) sowie die Begleitung von Kindern, die der Hexerei
beschuldigt werden. Diese erhalten im Kinderschutzzentrum Kandyaa in Togo
Schutz und Obdach und werden, je nach Bedarf bzw. Notwendigkeit, u. a. medizinisch versorgt, physisch und psychisch stabilisiert, nehmen an Alphabetisierungsaktivitäten teil und können fürsorglich
betreut wieder Kind sein.
Alle Kinder werden durch verschiedene Maßnahmen auf ihre soziale, familiäre oder schulische bzw. berufliche Wiedereingliederung vorbereitet. Evtl. erhalten sie eine materielle Unterstützung für ihren
Schulbesuch, ihre Berufsausbildung oder ihre Unterbringung außerhalb der Familie.
Folgebesuche in den Familien, Schulen und Ausbildungsstätten tragen dazu bei, dass die Wiedereingliederung der Kinder und Jugendlichen positiv verläuft.
"Ich heiße eigentlich A., aber man nennt mich gewöhnlich Hama (das heißt der große Hexer). Sie sagen, ich verhexe die Leute und ich esse sie auf. Das hätte ich von
meinem Vater gelernt. Ich weiß nicht, wo mein Vater ist. Er zieht mit seiner Rinderherde durchs Land. Ich bin beim Bruder meiner Mutter aufgewachsen. Dort bin ich auch zur Schule gegangen.
Eines Tages hat mein Onkel gesagt, dass ich schuld sei, dass er keine Kinder bekommen könne. Er hat ein großes Messer geholt und gesagt, dass er mich damit töten wird. Daraufhin bin ich abgehauen.
Ich habe mich auf dem Markt rumgetrieben und nachts einen Unterschlupf gesucht. Tagsüber habe ich eine Transportkarre geschoben. Damit habe ich etwas Geld verdient zum Essen. Dann ist meine Mutter
wiedergekommen. Sie hat mich zu einer Tante gebracht. Dann ist meine Mutter einfach wieder weggegangen. Meine Tante behandelte mich schlecht. Sie schlug mich jeden Tag. Wenn ihr Kind krank war,
verdrosch sie mich besonders.
An einem Tag tat es verdammt weh. Ich sagte ihr, 'wenn du es noch mal tust, wirst du sehen was passiert'. Sie ist dann in die Küche gegangen, um Wasser heiß zu machen für das Essen. Plötzlich hat sie
mich gerufen. Sie hat einfach meine Hand genommen und in kochendes Wasser getaucht. Ich habe wie wild geschrien und vor Schmerz geweint. Sie hat mich dann zu einem Geisterheiler [sog. Scharlatan]
gebracht. Er hat etwas gebraut und über die Wunde geschüttet. Als die Wunde zu stinken anfing, wurden andere im Dorf aufmerksam. Die haben mich ins Krankenhaus gebracht."
Das Krankenhaus informierte den Staatsanwalt, der wiederum CREUSET benachrichtigte. Nachdem A. ärztlich versorgt war, nahm ein Sozialarbeiter ihn mit ins Kinderschutzzentrum von CREUSET. Dort erhielt er erst einmal wieder etwas zu essen und neue Kleider. A., der sich hier sehr wohl fühlt, sagt: "Ich will nicht mehr in mein Heimatdorf zurück gehen. Ich will hier bleiben und in die Schule gehen".
Inzwischen konnte die Mutter von A. ausfindig gemacht werden. Sie meldete sich bei CREUSET, als sie ihren Sohn im Fernsehen sah, wo er seine Geschichte öffentlich machte, um zu verhindern, dass anderen Kindern das gleiche Schicksal widerfährt. Er lebt nun bei seiner Mutter, geht dort in die Schule und ist einer der besten seiner Klasse.
Titelbild: Fortbildung zur Problematik, Sammlung bewährter Vorgehensweisen und Formulierung politischer Forderungen mit staatlichen Vertretern, Kinderschutzorganisationen, religösen und traditionellen Autoritäten sowie sogenannten Scharlatanen. © CREUSET-Togo