Nordkamerun: Zwangsrekrutierung von Kindern in Terrorgruppen

2018: Sechs Mädchen aus Terror-Gefangenschaft entkommen

Die Dörfer in den Grenzgebieten Kameruns zu Nigeria werden immer wieder von Anschlägen einer einflussreichen Terrorgruppe heimgesucht. Häuser werden abgebrannt, Menschen schwer misshandelt und nicht selten getötet sowie Familien auseinandergerissen.

Brandstiftung durch die Milizen

Die neunjährige Amina* lebte mit ihren Eltern und ihren Brüdern in einem Dorf. Eines frühen Morgens griffen die Männer der Terrorgruppe an. Dabei wurden Aminas Vater und Brüder getötet und ihr Haus abgebrannt. Das Mädchen und ihre Mutter blieben allein zurück. Sie erzählt uns, was sie danach erlebt hat:


„Ich wurde mit fünf anderen Mädchen aus unserem Dorf entführt, als wir auf der Suche nach Feuerholz waren. Wir waren ein halbes Jahr in ihrem Lager, eingesperrt in einem Haus. Wir haben den ganzen Tag lang im Koran gelesen. Sie sagten uns: ‚Wir sind jetzt eure neue Familie und ihr müsst uns gehorchen. Wir werden alle auslöschen, die nicht an unsere Religion glauben.‘

Zerstörung eines Dorfes durch Terroristen

Eines Tages zeigten sie uns ein Zimmer, das voll mit Dingen war, die wir nie zuvor gesehen hatten. Sie sagten uns, wir sollten die Dinge um unseren Bauch binden, um damit die Ungläubigen zu töten. Dann kämen wir ins Paradies.

 

Als einmal viele der Aufseher nicht im Lager waren, schafften wir es, zu fliehen. Wir liefen drei Tage lang durch die Wildnis. Als wir in einem Dorf ankamen, wurden Mitglieder des Kinderschutzkomitees auf uns aufmerksam und brachten uns zum nächsten Gendarmerieposten. Sie stellten uns viele Fragen. Dann wurden die fünf anderen Mädchen in ihre Familien zurückgebracht.

Menschen im Äußersten Norden Kameruns auf der Flucht

Meine Mutter war inzwischen gestorben. Eine Frau nahm mich bei sich auf und schrieb mich in der
Schule ein. Später konnte ich zu meiner Großmutter und meinem Cousin ziehen. Ich habe wieder viele Freunde, aber es tut mir weh, dass meine Eltern und meine Brüder tot sind.“


*Name geändert

** In unseren Projektgemeinden gründete unser Partner ALDEPA Kinderschutzkomitees, deren Mitglieder zu Ansprechpartner(inne)n bei Kinderrechtsverletzungen ausgebildet wurden.

2017: Ausweitung der Terroranschläge in Nordkamerun betrifft unsere Projektarbeit

 

Bedingt durch die Aktivitäten einer Terrormiliz aus Nigeria, ist die Situation im Norden Kameruns derzeit äußerst angespannt – mit direkten Auswirkungen auf die Kinder in der Region.

 

Zu den sozialen Spannungen trägt u. a. der Zustrom von Menschen auf der Flucht aus Nigeria bei, die in den überfüllten Lagern nahe der Grenze unterkommen. In Mokolo, wo unsere Partnerorganisation ALDEPA eine Außenstelle hat, leben derzeit über 55.000 Geflüchtete, die das Lager aber aus Sicherheitsgründen nicht verlassen dürfen und darin quasi eingesperrt sind. Die humanitäre Situation ist prekär. Mit den Fluchtbewegungen verbunden ist auch ein Anstieg der Kinder auf den Straßen. Diese sind ein leichtes Ziel für die Terrorgruppe, die die Kinder zwangsrekrutiert. Einige Kinder werden bereits in Nigeria von der Miliz entführt, nach Kamerun verschleppt und dort für Anschläge eingesetzt, bei denen die Kinder oft ums Leben kommen.

 

Der Staat geht gegen den Terrorismus vor. Dabei befinden sich minderjährige Terrorverdächtige in einer Grauzone. Ihre Fälle werden den Zivilgerichten, die durch unsere erfolgreiche Projektarbeit inzwischen zunehmend einen kinderrechtskonformen Umgang mit Minderjährigen anwenden, entzogen und stattdessen vor dem Militärgericht bearbeitet, das keine speziellen Verfahren für Unter-18-jährige kennt. Unsere Partnerorganisation ALDEPA kämpft daher seit einigen Monaten gezielt für die Beachtung ihrer Grundrechte im Strafvollzug sowie für einen Zugang zu den Kindern, um sie rehabilitieren und resozialisieren zu können.

 

Die verschärften Sicherheitsvorkehrungen des Staates sowie die wachsende Angst in der Bevölkerung bringen zudem das Sozialleben zum Erliegen und ziehen starke wirtschaftliche Einbußen nach sich. Verkaufsstände und Bars müssen aufgrund der Ausgangssperren früh schließen und der für die Region wichtige Handel mit den Nachbarländern Kongo, Tschad und Nigeria ist stark eingebrochen. Die Menschen, die ohnehin wenig zum Leben haben, sind dadurch in ihrer Existenz bedroht – all das in einer Region, wo Armut oft die Ursache diverser Kinderrechtsverletzungen ist. Dazu zählen u. a. Bildungsentzug, Frühehe, Gewalt, Ausgrenzung, Kinderhandel und wirtschaftliche Ausbeutung.

 

Aus finanzieller Not leben und arbeiten viele Kinder allein auf der Straße, wo sie schutzlos ihren Arbeitgeber(inne)n ausgesetzt sind. Sie werden auf dem Markt oder bei der harten Feldarbeit wirtschaftlich ausgebeutet (geringer Lohn, lange Arbeitszeiten, etc.) und erleben in der Regel auch physische oder psychische Gewalt. Die Situation der Mädchen ist dabei oft besonders dramatisch und umfasst auch sexuelle Ausbeutung. Eltern und Familienangehörige, denen sich die Kinder anvertrauen und die sie um Unterstützung bitten könnten, sind weit entfernt.  

 

Insbesondere Mädchen und Frauen sehen sich zudem durch die Ausweitung der Aktivitäten der Miliz zunehmend unterdrückt. Ihre Bildungschancen sind stark eingeschränkt und mit der auferlegten Verschleierung wird den Mädchen auch jede Möglichkeit genommen, wie ihre Brüder und Kameraden spielen zu können.

 

Ohne durchgreifende Initiativen der Zivilgesellschaft für die Wahrung von Grundfreiheiten und der aktiven Verteidigung von Mädchen- und Frauenrechten, eine wachsame Elternschaft für den Schutz und die Förderung ihrer Kinder sowie die Kooperation kompetenter staatlicher Dienste bei der Begleitung Minderjähriger wird sich die Menschenrechtslage in der Region gravierend verschlechtern, wovon vor allem die Kinder und ihre Lebenschancen betroffen sind. Eine Ausweitung der Problematiken auf die angrenzenden Regionen und Nachbarländer ist dann zu befürchten. 

 

Im vergangenen Jahr zwang die Sicherheitslage ALDEPA dazu, eine Anlaufstelle für auf der Straße lebende Kinder zu schließen, da die Terrorgruppe von dort Kinder für ihre Anschläge rekrutierte. Die Kinder- und Frauenrechtsorganisation ließ sich jedoch davon, wie auch von persönlichen Bedrohungen, nicht entmutigen und führte die Sozialarbeit im offenen Milieu fort. In unserem neuen Projekt geht ALDEPA nun ganz gezielt die mit der Sicherheitslage verbundenen Herausforderungen an. Dazu gehört viel Mut und Willensstärke.

 

In der Region führen wir mit ALDEPA bereits seit sechs Jahren ganzheitliche Kinderschutzprojekte durch. Ziel ist es, nachhaltige Verbesserungen v. a. in folgenden Bereichen zu erwirken:

  • Bekämpfung sexueller Gewalt und Ausbeutung sowie sexistischer Diskriminierung
  • Zugang zu Grundrechten für Kinder in Gefängnissen und Polizeigewahrsam
  • Schutz und Wiedereingliederung von auf der Straße lebenden Kindern
  • Zugang zu Bildung und Ausbildung für benachteiligte Kinder und Jugendliche
  • Bekämpfung von Kinderhandel und wirtschaftlicher Ausbeutung
  • Schutz von Kindern vor Rekrutierung in bewaffnete Gruppen

 

Mit unserem Projekt in der Region Äußerster Norden in Kamerun möchten wir Kinder besser vor den Auswirkungen des Terrorismus schützen. Im Einzelnen sollen

  • auf der Straße lebende Kinder vor Gewalt, (wirtschaftlicher) Ausbeutung, Kinderhandel und Zwangsrekrutierung geschützt werden, indem sie in ein schützendes familiäres Umfeld (re)integriert sowie eingeschult oder in eine Ausbildung vermittelt werden. Dadurch werden sie u. a. in die Lage versetzt, später ein eigenes Einkommen zu verdienen und sich selbst besser vor Gewalt und Ausbeutung zu schützen.
  • Kinder in Gefängnissen Zugang zu einer Rechtsstaatlichkeit erhalten, die im Einklang mit den Kinderrechten steht. Neben Rechtsbeistand und Bildungsangeboten erhalten sie Unterstützung bei ihrer Resozialisierung und Wiedereingliederung. Ihre Sozialgemeinschaft wird für ihre Situation sensibilisiert und zur Kooperation motiviert.
  • Auch für Kleinkinder mit ihren Müttern im Gefängnis soll sich die Lage verbessern durch eine angepasste Unterbringung und Betreuung im Gefängnis oder eine Vermittlung in ein förderndes familiäres Umfeld außerhalb der Gefängnismauern.

Diese Aktivitäten basieren auf einer engen Kooperation mit lokalen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren und einer intensiven Betreuungsarbeit mit den betroffenen und gefährdeten Kindern. Trotz der politischen Lage haben Sie ein Recht auf Schutz und Förderung.

Titelbild: © Jacky Naegelen

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